Wo Metternichs Geist noch weht

Sind Schriftsteller noch immer die Leute, die dem Staat umso lästiger werden, je besser es ihnen geht?

Ein neuer Finanzminister weckt Hoffnungen, wenn er mit der Absicht antritt, vieles anders und besser zu machen. Auch die österreichischen Schriftsteller dürfen jetzt hoffen. Ihre Behandlung stellt ein geradezu klassisches Beispiel für die ungerechte Behandlung einer Gruppe von Steuerzahlern dar.  Das österreichische Steuerrecht berücksichtigt nämlich, dass viele Erfinder oft jahrelang warten oder gar ein halbes Leben lang darben, bevor sie Geld für ihre Leistung sehen. Daher wird auf Einkünfte aufgrund selbst geschaffener patentrechtlich geschützter Erfindungen der halbe Steuersatz angewendet.

Der bedeutende österreichische Autor Milo Dor war alt, als ein Buch, das er als junger Mann gemeinsam mit Reinhold Federmann geschrieben hatte, endlich erscheinen konnte, und Federmann war längst tot. Dass Romane jahrelang herumliegen, ehe sie erscheinen, ist mehr oder weniger ihr Normalschicksal. Für Lyrik gilt das erst recht, sie bringt kaum Geld, und da Lyriker sowieso auch noch einen anderen Beruf haben müssen, sind sie für die Wahl ihrer literarischen Sparte doppelt gestraft, weil sie für ihre Mini-Honorare auch noch ihren vollen Spitzensteuersatz zahlen. Literatur hat, anders als manche Erfindungen, geringen volkswirtschaftlichen Nutzen, aber ihren kulturellen Wert und ihren Beitrag zum Ansehen des Landes wird wohl niemand abstreiten.

Da stellt sich schon die Frage: Warum nimmt das Steuergesetz Rücksicht auf die besondere Situation der Erfinder, auf die sehr ähnliche der Schriftsteller aber nicht? Dabei hatten diese den Hälftesteuersatz schon einmal ein paar Jahre lang. Er wurde dann aber wieder gestrichen.

Für die überwiegende Mehrheit der Autoren ist die Unregelmäßigkeit ihres Einkommens der Normalfall. Auch die Erfolgreichen leben oft zwischen ihren Erfolgen nicht nur zwei oder drei, sondern viele Jahre vom letzten Buch. Nach der Streichung des Hälftesteuersatzes für selbst geschaffene Urheberrechte wurde treuherzig erklärt, die Autoren dürften die Einkünfte eines guten Jahres ja auf drei Jahre verteilen. Das war nicht zuletzt auch ein Hohn auf die stolze Menge der Literatur, die erst in den Nachlässen zum Vorschein kommt und die beweist, dass die meisten Schriftsteller ohnehin nur für einen Teil ihrer Leistung entlohnt werden und den anderen Teil für die Nachwelt schaffen, unter ihnen etliche der Größten. Oder fürs Altpapier. Aber auch das ist notwendig in einem Beruf, in dem eben versucht und immer wieder versucht wird und nur das für geglückt Erachtete das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Der aber von der Steuer so behandelt wird wie kontinuierlich verdienende Manager oder Anwälte.

Übrigens war der Hälftesteuersatz für die Autoren wahrscheinlich sowieso nur ein Kollateralnutzen, weil offenbar weder bei dessen Einführung noch bei der Streichung primär an sie gedacht wurde. Ich hatte damals ein langes Gespräch mit einem hohen Herrn im Finanzministerium, weil der Hälftesteuersatz selbst in der Zeit, in der er den Autoren zugestanden wurde, nur dann in Anspruch genommen werden konnte, wenn die Einkünfte aus selbstgeschaffenen Urheberrechten ein Nebeneinkommen darstellten. Ich wollte wissen, warum diese Einschränkung nur für die Autoren gelte, nicht aber für die Erfinder. Der hohe Herr öffnete mir die Augen: Die Bestimmung sei die Erfindung von Ministerialbeamten gewesen, die nebenbei juristische Bücher schrieben.

So gesehen, war die Abschaffung sogar gerecht. Aber nur so gesehen.

Die Ungleichbehandlung von zweierlei geistiger Arbeit, des technischen Erfindergeistes und der Literatur, ist eines Metternich würdig, für den die Schriftsteller sowieso nur Leute waren, die umso lästiger wurden, je besser es ihnen ging. Möglicherweise denkt auch heute mancher so. Der Geist des Vormärz hat aber in einer modernen Demokratie nichts zu suchen. Damit ist der Gerechtigkeitssinn und das der heutigen Zeit entsprechende Denken eines neuen Ministers gefragt.

Dieser Beitrag erschien am 21. 2. 2018 in der Tageszeitung Die Presse